Blogpost von Sonja Heinze

Fünf Tage „Spiel, Spaß und Digital Humanities“: Ein Bericht zur DHd2020

 

-- Ein Blogpost von Sonja Heinze (Uni Leipzig) -- 

 

Montag (Tag 1)

Auf geht es von Leipzig nach Paderborn und das nicht alleine. Am Leipziger Bahnhof treffe ich Jan und Lea. Zusammen geht die Reise los. Bis kurz vor Hannover läuft alles planmäßig, doch dann heißt es auf einmal leider Streckensperrung und somit wird unsere Anreise plötzlich abenteuerlicher als geplant. Nach unbestimmter Wartezeit, sowie etwas Hin und Her, kommen wir um 16 Uhr mit gut drei Stunden Verspätung am Zielort Paderborn an.

 

 

 Abbildung 1: Anreise nach Paderborn

Die Verspätung hat zur Folge, dass wir es nicht mehr zu den Workshops schaffen. Wir sind aber gerade noch rechtzeitig da zur Registrierung und zum Treffen der neuen AG Digital Humanities Theorie, an dem wir aus purer Neugier teilnehmen. Dieser Programmpunkt stellt den Auftakt meiner DHd-Woche dar. Der Raum ist bis auf den letzten Platz gefüllt, manche Personen stehen sogar. Aus den Berichten über den vorangegangenen Workshoptag wird deutlich, wie zentral und wichtig im ersten Schritt die Begriffsarbeit in den Digital Humanities sein wird. Die Veranstaltung ist so gestaltet, dass man sich an Tischen trifft und sich zu einem bestimmten DH-Thema austauscht. Ich merke gleich, dass am Anfang eines Gespräches an einem dieser Themen-Tische zunächst unmittelbar der Wunsch besteht, fachliche Begriffe zu schärfen. Nur damit ist gewährleistet, dass wir miteinander über den gleichen Gegenstand reden.

Am Ende des AG Treffens bin ich sehr froh daran teilgenommen zu haben und bin ganz gespannt wie sich diese AG weiterentwickeln wird. Es scheinen auf jeden Fall alle sehr motiviert zu sein und die AG Digital Humanities Theorie trifft in meinen Augen einen Nerv.

Neben den vielen theoretischen und fachrelevanten Themen, die die AG adressiert, freue ich mich zusätzlich daran teilgenommen zu haben, da sich eine Gruppe noch im Anschluss zum Abendessen verabredet. Der erste von weiteren netten Abenden, der in gemütlicher Runde endet. Bei mir stellt sich im Rahmen der DHd2020 zum ersten Mal das Gefühl ein, in der DH Welt angekommen zu sein.

Dienstag (Tag 2)

Mein zweiter Tag beginnt mit dem Workshop „Bias in Datensätzen und ML-Modellen: Erkennung und Umgang in den DH“. Ein paar Vorkenntnisse bringe ich mit und die zweigeteilte Struktur des Workshops ist gut gewählt. Erst gibt es ein wenig theoretischen Input und dann geht es um das selbst Ausprobieren mit eigenen Datensätzen in Kleingruppen. Von Maximilian Noichl kommt der Vorschlag einen Twitter Datensatz mit Tweets von Philosophen zu erstellen und zu untersuchen. Die Idee und das „Twitter-Scrapen“ finde ich spannend und so lande ich in dieser Gruppe. Die Zeit ist leider sehr begrenzt, aber am Ende können wir ‚twarcen‘ [1] und haben einen Datensatz mit Tweets von 711 verschiedenen Philosophenaccounts, der untersucht werden kann.

Im zweiten Workshop „Hackathon - Sortir de la guerre“ geht es darum die vorhandenen Dokumente und Bilder aus der gleichnamigen Ausstellung explorativ zu nutzen. Ein paar Aufgabenideen sind die Nutzung von Tools, wie z.B. Voyant-Tools oder CATMA, aber auch das Arbeiten mit den Bildern, um z.B. Storymaps zu erstellen. Es bilden sich drei Gruppen: Eine Gruppe trainiert ein Deep-Learning Modell, das vorhersagen soll, auf welche Stellen in einem Bild die Betrachter wahrscheinlich schauen. Die nächste Gruppe beschäftigt sich mit Named-Entity-Recognition mithilfe von Spacy. Meine Gruppe versucht mithilfe des gegebenen Materials eine Storymap zu erstellen. Am Ende ist dieser Workshop für mich ganz wesentlich eine Lehre, wie wichtig es ist, gut aufbereitete Datensätze zu haben und entsprechend mit den Archiven, die die Daten erfassen, frühzeitig zusammen zu arbeiten. Es fällt hier auch das Stichwort „gespeicherte Tabellen in Word-Dokumenten“.

Nach einem spannenden Workshoptag geht es für den Eröffnungsempfang mit Keynote in das Heinz Nixdorf MuseumsForum. Vor der Keynote haben wir noch etwas Zeit, das Museum zu erkunden. Das bedeutet für mich vor allem ausprobieren und ‚spielen‘, um dem Motto dieser Tagung gerecht zu werden. In einer kleinen Gruppe probiere ich mich durch die Entwicklung der Rechenmaschinen. Wir können jetzt wie die Ägypter multiplizieren, mit dem Abakus rechnen und diverse andere manuelle Rechenmaschinen bedienen. Viel mehr Zeit ist dann leider auch nicht, bloß noch für ein schnelles Foto mit ein paar Lochkarten und einer Lochkarten-Maschine. Ich sage nur „Roberto Busa“.

 

Abbildung 2: Das "Roberto Busa" Bild

Neben dem Museum und der Keynote stellt für mich an diesem Tag der Empfang und Ausklang am Abend ein drittes Highlight dar. Hier kann ich nochmal in lockerer Atmosphäre sehr gut mit einigen anderen TeilnehmerInnen ins Gespräch kommen und mich noch ein Stück mehr in der DH Community einfinden.

Mittwoch (Tag 3)

Die Präsentationen und Panels starten. Es geht direkt mit meinem persönlichen Themen-Highlight los: Die Präsentationen zum Thema „Quantitative Zugänge zu Musik“.

In der ersten Präsentation von Anna Plaksin geht es um „Differenz und Ähnlichkeit in der computergestützten Filiation von Renaissancemusik“. Der Begriff „Filiation“ sagt mir erstmal nichts. Es stellt sich schnell heraus, dass dieser sehr eng mit der „phylogenetischen Analyse“ verwandt ist. Stark vereinfacht möchte man am Ende aufgrund von den ermittelten Beziehungen eine Art von Stammbaum erstellen können. Zentral wichtig sind die Ähnlichkeits- bzw. Differenzmaße. Anna Plaksin nutzt in diesem Zusammenhang die Surrogatdatenanalyse und stellt ihr Vorgehen näher vor. Eine sehr spannende erste Präsentation und ich nehme mir vor, auf jeden Fall einen Blick in ihre Dissertation zu werfen.

Es folgt eine Präsentation von Johannes Kepper zum Thema „Musikalische Stilometrie“ mit ein paar explorativen und eher spielerisch einzuordnenden Ansätzen und Gedanken. Bisher habe ich stilometrische Methoden immer nur im Zusammenhang mit Text kennengelernt, umso spannender ist es zu sehen, was passiert, wenn man probiert diese auf Musik, genauer encodierte Notenschriften in MusicXML und anderen Formaten, anzuwenden. Leider funktioniert der native Ansatz, die Methoden aus dem „stylo“ Paket einfach auf MusicXML Dateien anzuwenden, nicht so gut. Musik ist dann doch etwas komplexer. Mit der ‚abc‘ Notation erhält man schon eher Ergebnisse, die aber durch das Format stark begrenzt sind. Ein anderer Ansatz ist die Verwendung von jMIR. Am Ende bleibt unter anderem die Frage offen: „Bei Text nutzen wir Worthäufigkeiten als Features. Welche Features brauchen wir in der Musik an dieser Stelle für die stilometrische Betrachtung?“

Abgerundet wird diese Einheit von einer Präsentation zum Thema „Optical Music Recognition“ in Bezug auf mittelalterliche Neumennotationen und der Vorstellung eines semiautomatischen Online-Editors. Nach dem Musik-Themenblock folgen für mich noch die Präsentationen zu „Visualisierung und Erkenntnis“ mit einem guten Maß an Philosophieanteil sowie zur „Textanalyse“, wo mein Kommilitone Jan Luhmann von der Uni Leipzig sein Projekt „SubRosa – Multi-Feature-Ähnlichkeitsvergleiche von Untertiteln“ vorstellt.

Nach all dem Input und der Mitgliederversammlung, an der ich als Neumitglied teilnehme, bietet dieser Tag auch noch ein weiteres Highlight für mich und die anderen StipendiatInnen. Der Paderborner Bürgermeister Michael Dreier, RepräsentatInnen von CLARIAH-DE und der Universität Paderborn laden ins Rathaus zur Urkundenverleihung und einem Empfang ein. An dieser Stelle möchte ich mich für die Unterstützung durch die Stipendien herzlich bedanken. Der Abend klingt nach dem offiziellen Teil in lockerer Atmosphäre aus und es ergeben sich wieder sehr nette Gespräche.

Donnerstag (Tag 4)

Ich starte den Tag mit dem Panel zum Thema „Maschinelles Lernen in den Geisteswissenschaften“. Durch mein Studium mit einem starken Informatikanteil sind mir die Konzepte des maschinellen Lernens vertraut. Umso mehr bin ich als Informatikerin auf die verschiedenen Perspektiven zu diesem Thema in der DH-Community und die Diskussionen gespannt. Für einen regen Austausch ist dann am Ende leider nicht mehr Zeit, aber die einzelnen Beiträge sind auch sehr spannend. Verschiedene Anwendungen werden vorgestellt. Pre-Processing nimmt dabei immer einen wichtigen Teil ein. Wie es auch so schön heißt: „Garbage In → Garbage Out“. Meine Leseliste erweitert sich außerdem um zwei Bücher.[2]

In der darauffolgenden Sitzung zu „Text / Theorie in Vergangenheit und Zukunft“ wird es zeitweise mal wieder recht philosophisch. Sowieso komme ich im Verlauf dieser Tagung immer wieder in Kontakt mit „Theoriebildung“, „Theorien“ und „Philosophie“. Ich entdecke zunehmend die Philosophie als wissenschaftliche Disziplin und sehe wie diese die Entwicklungen in der Theoriebildung für die Digital Humanities bereichern kann. Ich lerne in dieser Sitzung noch eine neue Persönlichkeit der frühen Digital Humanities kennen: Theo Lutz.

Weiter geht es mit dem Posterslam und der darauffolgenden Postersession. Beim Posterslam beeindruckt mich was für einer Kreativität gezeigt wird: Einige TeilnehmerInnen tragen extra Kostüme und auch die Vielfalt der Posterinhalte ist erstaunlich. Da gibt es kleine Schauspiele, aufwendige Animationen und sogar musikalische Einlagen. Die Posterslams sind sehr unterhaltsam, inhaltlich sind sie ein Ritt durch die Themenvielfalt der DH. Im Anschluss empfiehlt es sich, in Ruhe an der Poster-Begehung teilzunehmen und an den Stellwänden das Gespräch mit den PräsentatorInnen zu suchen.

Und auch an diesem Abend kommt der Spielefaktor nicht zu kurz: Erst gibt es die Physikshow, in der auf sehr beeindruckende Weise Physikexperimente vorgeführt werden. Weiter geht es im Fußball-Stadion mit einer Stadionführung, bevor dort das Conference Dinner stattfindet. Das „Spielraum-Motto“ ist hier von den OrganisatorInnen wieder sehr gut umgesetzt. Ich lasse mich dann irgendwann auch von dem Spieltrieb rund um die Kickertische anstecken. Der Abend klingt noch in einem Paderborner Pub aus, der zum Glück auch einen Spielraum mit einem Kickertisch besitzt, so dass weitergespielt werden kann.

 Abbildung 3: Spielraum "Kickertisch"

 

Freitag (Tag 5)

Ich merke so langsam wie mir die Woche doch etwas in den Knochen steckt. So viel Input, neue Kontakte und Veranstaltungen.

Die letzte Sitzung, die ich besuche, ist das Panel zu „Intertextualität in literarischen Texten und darüber hinaus“. Für mich ist interessant zu verfolgen, auf welchen Ebenen Intertextualität aus einer DH Perspektive betrachtet werden kann. Bisher habe ich mich vorwiegend mit der Sichtweise der Computational Humanities, die in dem Panel von Manuel Burghardt (Uni Leipzig) vertreten wird, auseinandergesetzt. Das heißt, es wird die explizite Intertextualität, wie z.B. in Form von Figurenreferenzen oder Zitaten, auf der Textebene betrachtet und es werden computergestützte Ansätze verwendet. Stichworte: „text similarity“ und „text reuse“. Ich lerne, dass man Intertextualität aber auch aus einer stärker literaturwissenschaftlichen Sicht betrachten kann. Dann geht es um mehrstufige Annotationen und implizite Intertextualität. Nicht nur die reine Textebene wird betrachtet, sondern auch „Histoire“ und „Discours“. So ist es typisch, dass Intertextualität hergestellt wird, indem ein Autor inhaltliche Ideen, Textstellen oder Figuren von einem anderen Autor aufgreift und in seinen eigenen Text einwebt.

Nach dem Motto „Last, but not least“ geht die DHd 2020 mit einer beeindruckenden Keynote von Alan Liu zum Thema „Humans in the Loop – Humanities Hermeneutics & Maching Learning“ zu Ende. Die Keynote ergänzt aus meiner Sicht die Gedanken der Theorie AG, mit denen ich in diese Tagung gestartet bin. So schließt sich der Kreis am Ende der Woche. Am liebsten würde ich ziemlich jede Folie abfotografieren und alles mitschreiben. Dass es nicht nur mir so geht, zeigt sich auch auf Twitter. Diese Keynote kann ich wirklich nur empfehlen.

 

Rückblick

Schon eine Weile ist vergangen, als ich begonnen habe, diesen Blogpost zu verfassen und die Eindrücke wirken auch noch heute nach. Die Tagung bot eine gute Mischung aus Workshops, AG-Treffen, Präsentationen und Rahmenprogramm. Beim Schreiben merke ich nochmal, wie viel Input die Tagung geboten hat. Neben dem Input war für mich außerdem das Rahmenprogramm sehr wertvoll. Dies hat es ermöglicht die einzelnen Tage in einer lockeren Atmosphäre ausklingen zu lassen und so die Kontakte weiter zu vertiefen.

Des Weiteren habe ich nach dieser Tagung das Gefühl einen guten Überblick des aktuellen Status Quo der deutschsprachigen Digital Humanities außerhalb meiner studentischen „Uni-Leipzig-Blase“ gewonnen zu haben. Die Erfahrungen und Eindrücke haben mir auch sehr geholfen mich selbst besser in dieser Community einordnen zu können und heimisch zu fühlen.

Was bleibt außerdem noch von der DHd2020? Nach der DHd2020 ist vor der DHd2021! Und für die Überbrückung der Wartezeit bis dahin hat sich der Discord Server des Halle Stammtisches auf grandiose Art und Weise zum #DHall Server für alle weiterentwickelt. Dort lebt der „DH Community Spirit“, den ich auf der DHd2020 erleben konnte, in virtuellem Raum weiter.

 

 

 

Abbildung 4 Twitter Screenshot zum #DHall

 

 

 

[1] ‚twarc‘ ist eine Python Library speziell zum „Twitter Scraping“.

[2] Cathy O'Neil „Weapons of Math Destruction: How Big Data Increases Inequality and Threatens Democracy“ und Katharina A. Zweig „Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl. Wo künstliche Intelligenz sich irrt, warum uns das betrifft und was wir dagegen tun können“.

 

 

 

---------------------------

Über die Autorin

Sonja Heinze (@SonjaHeinze_), Studentin im 2. Semester des M.Sc. Digital Humanities an der Universität Leipzig.

Zitiervorschlag

Heinze, Sonja(2020): "Fünf Tage „Spiel, Spaß und Digital Humanities“: Ein Bericht zur DHd2020." In: CLARIN-D Blog, 19.7.20. URL: https://www.clarin-d.net/de/blog-clarin-d/111-dhd2020-blogpost-von-sonja-heinze-uni-leipzig.

 

  

 

Geschrieben von : Lea Caspar

1000 Buchstaben übrig